Compliance und Betrugsfälle sind in der Immobilienwirtschaft schon häufig aufgetreten. Was an Fällen wie aktuell bei Vonovia überrascht, dass sie nicht früher erkannt oder grundsätzlich vermieden werden können. Vonovia als DAX Konzern unterhält ein differenziertes und auditiertes Managementsystem. Rechtsanwalt Benjamin Hasan, der schon diverse Compliance Systeme auf ihre Wirksamkeit überprüft hat und selbst Chief Compliance Officer einer Bank war, dazu:
„Ein wirksames Controllingsystem ist die erste Brandmauer – es ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung, um Betrug zu vermeiden. Für Anleger ist es schwer zu erkennen, ob ein Betrug stattfindet. Durchgängig überhöhte Instandsetzungsleistungen je Monat liefern allerdings ein Indiz, dass etwas nicht stimmt. Vonovia als größter Player in dieser Branche ist natürlich kein Einzelfall. Es gibt viele schwarze Schafe unterschiedlicher Größe, so der Rechtsanwalt weiter.“
Welche Betrugsmöglichkeiten gibt es?
Betrug ist in keinem Geschäftsmodell auszuschließen - es gibt aber wesentliche Faktoren, die es den schwarzen Schafen sehr schwierig machen, ihre Betrugsmasche umzusetzen. Bei Vonovia kommt hinzu, dass interne Mitwisser oder Helfer vom Betrugssystem profitiert haben. Für ein derart ausgeklügeltes Betrugssystem benötigt man Mittäter im Unternehmen und außerhalb des Unternehmens, die kollusiv zusammenarbeiten.
Für den Frankfurter Juristen alles andere als ein Einzelfall: Größere Gesellschaften mit Konzernstrukturen, die auch von der Bankenaufsicht kontrollierte Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) als Töchter haben, suchen und finden Wertschöpfungsmöglichkeiten an den unterschiedlichsten Stellen, und am meisten Geld wird verdient, wenn man den Boden der Zulässigkeit verlässt. Mal werden kleinere Konzerntöchter mit lukrativen Aufträgen versorgt, mal gibt es einzelne KVGs, deren Verwaltung der Objekte sich andere Gesellschaften unter dem Konzerndach wieder gut bezahlen lassen.
Scheinrechnungen für Instandsetzung weit verbreitet
Insbesondere Leistungen, die der Instandsetzung des Gebäudes und nicht der Wertsteigerung des Gebäudes zuzurechnen sind, bieten viele Möglichkeiten der betrügerischen Einflussnahme. Diese Tätigkeiten umfassen meistens Reparatur- und Renovierungsarbeiten. Sofern der Ursprungszustand nicht dokumentiert ist, sind etwaige Arbeiten (Qualität & Quantität) nicht sicher nachzuvollziehen. Die Betrüger wähnen sich in Sicherheit. Die Grauzone kann durch Dienstleister in der Immobilienbranche ausgenutzt werden, sofern das Asset Management nicht ausreichend wachsam ist.
Ein funktionierendes Immobiliencontrolling hilft bei der Identifikation von Potentialen und Chancen und vermeidet gleichzeitig Risiken wie Betrug. In der Immobilienbranche existieren Best Practice Werte für die Instandsetzung, die sich stark am Gebäudetyp und dem Zustand orientieren. Gleichzeitig werden bei Fondsgesellschaften oder eben auch bei Vonovia Business Pläne auch für die Instandsetzung erzeugt. Legt man diese zu Grunde, können sich bei der Analyse schon Abweichungen ergeben, die entweder auf Chancen oder eben auf Betrug hindeuten.
Sicherlich hilft auch der gesunde Menschenverstand bei der Aufdeckung von Betrugsfällen. Ein anleger- und profitorientiertes Immobilienunternehmen hat ein Eigeninteresse, unnötige Leistungen zu überhöhten Preisen zu vermeiden.
„Öl- und Farbfleckenreinigungen von Parkplätzen oder Vogelkotbeseitigungen müssen die Ausnahme bei der Auftragsvergabe bleiben. In Deutschland fällt auch sehr selten der Strom aus, so dass auch die Entstörung von Stromleitungen eher eine Ausnahme ist. Falls eine Häufung bei diesen nicht wertstiftenden Leistungen auftritt, müssen in einem Immobilienunternehmen die Warnlampen angehen“, so der Rechtsanwalt aus der Analyse von Betrugsfällen.
Compliance Management System (CMS) kann vor Betrug schützen
Sofern das Controlling oder auch der gesunde Menschenverstand versagen, sollte das Compliance Management System (CMS) vor Betrug schützen – bei Vonovia scheint aber auch dies versagt zu haben. Das Compliance Management System besteht aus unterschiedlichen Elementen. Ganz wesentlich für die Funktion eines CMS sind die Werte eines Unternehmens und die daraus abgeleiteten Ziele. Stellen Mitarbeiter z.B. fest, dass Verdachtsmeldungen, die nach besten Gewissen gemacht werden, keine Konsequenzen des Managements zur Folge haben, dann wird das Compliance System ausgehöhlt. Hinweisgeber müssen zudem besonders geschützt werden.
Laut Rechtsanwalt Benjamin Hasan kommt es auf Folgendes an: „In der heutigen Zeit müssen Unternehmen für eine offene und werteorientierte Kultur in ihrem Hause sorgen. Hinweisgeber müssen geschützt werden. Hierarchische und patriarchale Strukturen bieten einen guten Nährboden für Korruption und Betrug. Die Kultur der Offenheit und Integrität sind also die hinreichende Bedingung.“
Schaut man andere Betrugsfälle wie Wirecard an, haben neben Wirtschaftsprüfern insbesondere die Aufsichtsräte ihren Job nicht richtig verstanden oder ausgeführt. Dem jeweiligen Aufsichtsorgan kommt eine sehr wesentliche Aufgabe bei der Umsetzung der vorbenannten Elemente zu. Aufsichtsräte haben die Aufgabe, aktiv die Tätigkeit in einem Unternehmen zu überwachen. Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch die Wirkung auf die Unternehmenskultur. Je stärker sich Aufsichtsräte für die Aufklärung einsetzen, desto einfacher lässt sich Betrug vermeiden – sie schützen also die offene Unternehmenskultur.
Für Benjamin Hasan ist aber noch ein Punkt wesentlich: „Die Beziehungen zu Dienstleistern und Lieferanten müssen professionell bleiben. Weihnachtsfeiern oder gesellige Abende in Shisha Bars gesponsert von Auftragnehmern sollten tunlichst vermieden werden.“
Betrugsanfälligkeit seit 20 Jahren unverändert hoch
Rechtsanwälte, die sich mit sowas auskennen, wissen sofort, wo sie prüfen müssen und wie sie die großen und kleinen Betrügereien entdecken können, mit denen komplexe Strukturen – Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen ihre Gewinne auf Kosten von Mitarbeitern, Kunden, Anlegern oder Zulieferern auf illegale Weise optimieren. Sowas passiert immer wieder. So war Veba Immobilien – der Vonovia-Vorgänger –schon vor 20 Jahren Ziel einer Razzia. Auch damals ging es um den Verdacht der Korruption.
Razzia bei Vonovia lässt Anleger anderer Anbieter und Ermittler gleichermaßen aufhorchen
Der Frankfurter Rechtsanwalt Benjamin Hasan ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner im Frankfurter Büro der international aufgestellten Kanzlei Michael Kyprianou & Co LLC – Advocates & Legal Consultants. Er hat über die Jahre hunderte Prospekte von Immobilienfonds analysiert und hunderte Prozesse in diesen und ähnlichen Sachverhalten geführt. Er erhält regelmäßig Anfragen von Anlegern unterschiedlicher Unternehmensgruppen, welche die Entwicklung, Konzeption und Verwaltung alternativer Investmentfonds (AIF) mit dem Investitionsschwerpunkt Wohnimmobilien anbieten.
Er bezweifelt, dass Vonovia der einzige zwielichtige Anbieter ist. Er rät: „Wer sein Kapital in Fondsanteile zu investieren beabsichtigt, sollte vorher Informationen über das Unternehmen bei der jeweiligen Aufsichtsbehörde oder einem spezialisierten Anwalt einholen, um nicht auf Betrüger hereinzufallen.“
Seit Bekanntwerden der Razzia bei Vonovia sind auch arglose Anleger anderer nicht börsennotierter Immobilienhäuser besorgt. Viele sind nun aufmerksamer und wissen um die Betrugsanfälligkeit in der Immobilienbranche. Besorgte Anleger können sich bei Bedenken jederzeit an spezialisierte Anwälte aber natürlich auch direkt an die Aufsichtsbehörden wenden. Für Kapitalverwaltungsgesellschaften - ganz gleich ob Bochum, München, Wiesbaden oder Kiel - ist hierfür die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, zuständig“.